Gast-Blog: Grizzlys Wolfsburg

Die Grizzlys waren in den vergangenen Saisons vor dem Start der Hauptrunde oft eine Wundertüte. Man konnte sich Jahr für Jahr darauf verlassen, dass der Sportliche Leiter Charly Fliegauf immer wieder in Deutschland noch unbekannte Talente aus Übersee in die Autostadt lotsen würde, die oft einschlugen wie die sprichwörtliche Bombe und in der Folgesaison in der Regel von den Big Three der DEL abgefischt wurden.

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(Foto: City-Press)

Der Grund: gegen finanzielle Angebote aus Mannheim, München und Berlin ist man in Wolfsburg trotz des treuen Hauptsponsors in aller Regel machtlos.

Wenn sich die Fans der Grizzlys in der Vergangenheit häufig auf relativ viele Neuzugänge einstellen konnten, die den deutschen Kern des Kaders verstärkten – in der letzten Saison gab es immerhin 12 neue Spieler - wird es in der kommenden Saison ganz anders sein.

Die Bewertung der letzten Saison ergab durch Beobachter und Verantwortliche der Grizzlys ein durchaus gespaltenes Bild, denn am Ende der Hauptrunde der vergangenen Saison konnte das Team aus Wolfsburg einen neuen Zuschauerrekord verzeichnen und die Grizzlys erreichten, trotz einer von Berg- und Talfahrten geprägten Saison, mit Platz 4 ein durchaus respektables Ergebnis.

Die Männer um Headcoach Mike Stewart und deren Fans gingen daher durchaus optimistisch in die Playoffs, denn durch ihren Tabellenplatz Vier haben sich die Autostädter das Heimrecht im Viertelfinale der DEL-Playoffs erkämpft. Dort trafen sie ausgerechnet auf den EHC Redbull München, den Meister des Vorjahres und mussten sich schließlich erneut dem, wegen gravierender Verletzungssorgen der Grizzlys, geradezu übermächtig auftretenden Dauerrivalen aus vielen vergangenen Playoff-Runden in nur Vier Spielen geschlagen geben.

Trotz des schnellen Ausscheidens gegen München haben die Verantwortlichen und Spieler in Wolfsburg in den obligatorischen Abschlussgesprächen nach dem Playoff-Aus offenbar das Resümee eines „undone Jobs“ gezogen, denn man verabschiedete sich von nur sechs Spielern des Kaders.

Namentlich waren es die Grizzlys-Legende Armin Wurm, der seine Karriere beendet hat, sein Verteidigungskollege Nolan Zajac, der in der nächsten Saison in Augsburg spielen wird, sowie Jean-Christophe Beaudin, Peter Mueller, Robert Kneisler und der Backup-Goalie Ennio Albrecht deren zukünftigen Teams noch nicht feststehen.

Bisher noch nicht ersetzt wurde die Backup-Goalie-Position, die in Wolfsburg in der Regel mit Talenten aus der Oberliga besetzt wird. Hier wird sicherlich auch in der kommenden Saison mit einem jungen Deutschen zu rechnen sein.

Bei Chris Wilkie war lange Zeit unklar, ob er an die Aller zurückkehren wird – Charly Fliegauf sagte nach der Saison, dass man den Goalgetter aus den USA gern halten würde, angesichts der Verpflichtung von Phil Varone, der von der DEG nach Wolfsburg wechselt, erschien eine Vertragsverlängerung von Wilkie aus Etatgründen allerdings fraglich und wie man hört, haben sich die Grizzlys gegen eine Vertragsverlängerung entschieden.

Mit dem neuen Center Phil Varone kommen wir also zu den Zugängen, die den Kader der Grizzlys in der nächsten Saison verstärken werden. Der zuletzt von den Grizzlys als Neuzugang bekanntgegebene kanadische Center konnte verletzungsbedingt in der letzten Saison nur 34 Spiele für die Düsseldorfer EG bestreiten, bevor er wegen eines Kreuz- und Innenbandrisses vorzeitig die Saison beenden musste.

Dem Vernehmen nach sei seine Verletzung am Knie vollständig ausgeheilt, ob er aber schon mit voller Fitness Anfang August zum Auftakt der Preseason in Wolfsburg das Eis betreten wird, darf bezweifelt werden. Wenn Varone sich seine alte Fitness zurückerarbeitet hat, wird er durch seinen Fleiß, seine Vielseitigkeit, die Fähigkeit seine Mitspieler torgefährlich in Szene zu setzen und seine Über- und Unterzahl-Qualitäten das Grizzly-Hockey sicher beleben. Lediglich sein Bully-Spiel gehört nicht zu seinen größten Stärken.

Über einen weiteren Neuzugang, der aber eigentlich gar keiner ist, werden sich viele Grizzlys Fans sehr freuen, denn mit Julian Melchiori kehrt ein „verlorener Sohn“ nach zwei Jahren vom Konkurrenten aus Berlin als frisch gebackener DEL-Meister wieder zurück in die Autostadt.

Was man von ihm erwarten kann, weiß man in Wolfsburg ganz genau – nicht ohne Grund zeigte sich Charly Fliegauf bei der Vorstellung des fast zwei Meter großen Verteidigers durch die Grizzlys „sehr froh, dass sich Mel“, so sein Spitzname in der Kabine, „trotz anderer Optionen“ für die Grizzlys entschieden und „den Weg zurück nach Wolfsburg gefunden“ habe. Melchiori ist ein Vielspieler mit Übersicht und hilft seinem Team mal mit einem hervorragenden Aufbaupass und mal Puck kontrollierend bis ins gegnerische Drittel, kurz ein wahrer Mr. Zuverlässig in der Defensive der Grizzlys.

Auf der U23-Position haben sich die Grizzlys mit Julius Ramoser ein junges Sturmtalent aus der Kaderschmiede der Red Bull-Akademie in den Kader der kommenden Spielzeit geholt. Für den 22jährigen Deutsch-Italiener wird dies seine DEL-Rookie-Saison sein, denn bisher kann er in seiner Karriere auf 2 Spielzeiten in der DEL2 und eine Saison in der Österreichischen Alps Hockey League zurückblicken.

Neben den vorgenannten Neuzugängen hat der Sportliche Leiter Charly Fliegauf schon kurz nach der Saison wichtige Vertragsverlängerungen in trockene Tücher gepackt. So haben die Grizzlys ihren Top-Goalie Dustin Strahlmeier mit einem langfristigen Vertrag an sich gebunden.

Der bisherige Center Fabio Pfohl hat einen Vertrag bis 2026 erhalten, allerdings wird er ab der kommenden Saison Stammspieler in der Verteidigung sein. Diesen Job kennt er schon recht gut, denn in den vergangenen zwei Spielzeiten hat ihn Mike Stewart wegen großer Verletzungssorgen in der Defensive immer wieder auf dieser Position eingesetzt.

Auch der Stürmer Lucas Dumont wird weitere zwei Jahre in Schwarz-Orange auflaufen und mit seiner Geschwindigkeit auf dem Eis im 5 gegen 5 und in Unterzahl eine wichtige Rolle spielen.

Mit Matt White und Andy Miele konnte Charly Fliegauf zwei der wichtigsten Leistungsträger aus der letzten Saison in Wolfsburg halten. White, der mit einer komplizierten Verletzung lange pausieren musste und erst kurz vor den Playoffs in den Kader zurückkehrte, war in den 36 Spielen für die Grizzlys ein wichtiger Punkte-Lieferant und ganz sicher musste Fliegauf tief in die Tasche greifen, um den US-Amerikaner halten zu können.

Dasselbe dürfte auch auf den ebenfalls aus den USA stammenden Andy Miele zutreffen. Auch wenn er durch seine Körpergröße – er ist nur 174cm groß – bei weitem nicht der Top-Bully-Spieler der DEL war, als Denker und Lenker im Powerplay setzt Mike Stewart auch in der kommenden Saison auf Ihn als Top-Center. Man darf allerdings gespannt sein, ob es teamintern einen Konkurrenzkampf zwischen Miele und dem neuen Center Varone geben wird.

Fazit:

Charly Fliegauf hat den Kader der Grizzlys aus der letzten Saison weitgehend zusammenhalten können und punktuell wichtige Schlüsselpositionen neu besetzt. Zwar hat sich die Qualität im Kader gegenüber der letzten Saison auf dem Papier vermutlich verbessert, allerdings sind die Grizzlys stand heute erneut das älteste Team in der DEL. Das könnte sich in den Playoffs wieder erschwerend auswirken. Ob sich zudem das Bullyspiel der Wolfsburger gegenüber dem aus dem Vorjahr verbessert hat, bleibt ebenso ungewiss.
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Sven Grosche - 3on3Overtime